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Verpflichtendes Dienstjahr - oder: Verantwortung liegt im Auge des*der Betrachters*in

Junge Menschen finden immer neuere Wege sich selbst, ihre Lebensentwürfe und Ziele zu verwirklichen. Gerade nach der so einschneidenden Corona-Zeit ein schönes Zeichen dafür, dass insbesondere junge Menschen auch angesichts einer weltweiten Pandemie zuversichtlich in die Zukunft blicken. Und mit der Zeit gehen.

 

Solche Erkenntnisse im Verlauf einer ausklingenden Pandemie sind ungemein wertvoll, vor allem, wenn man nicht unbedingt damit rechnen durfte. Was jedoch weniger hätte überraschen dürfen, ist der mal wieder in den Fokus gerückte Fachkräftemangel in medizinischen und pflegerischen Berufen. Während die einen in der Pandemie zu Hause blieben, um ihren Beitrag zu leisten, verbüßten andere tagelange Schichten auf Intensivstationen, um Leben zu retten.

 

Schon während der Hochphase der Pandemie wurde mal wieder klar, dass die unattraktiven Arbeitsbedingungen, die schlechte Bezahlung und die insgesamt sehr stiefmütterliche Behandlung dieser Berufszweige vornehmlich schuld daran sind, dass der Fachkräftemangel gerade hier so grassiert. Problem erkannt, Problem gebannt sollte man meinen: großzügigere Verteilungsschlüssel für Pflegepersonal, flexiblere Schichtsysteme und Arbeitszeiten, die die Arbeitnehmer*innen nicht zu Grunde richten und eine mindestens mal angemessene Bezahlung.

 

Doch dann müsste man eingestehen, dass man mit der Sozialpolitik in puncto Pflege- und medizinischem Fachpersonal in den vergangenen mindestens 16 Jahren schwere Fehler begangen und diese sehenden Auges nicht beseitigt hat. Aber Fehler gesteht man nicht ein, zumindest nicht in Wahlkampfzeiten… und irgendwo ist ja immer Wahlkampf.

 

Stattdessen wälzt man die Verantwortung lieber auf Menschen ab, die für diese Situation am wenigsten können und fordert von jungen Erwachsenen sich ihren Platz in der Gesellschaft zu verdienen, indem man Tätigkeiten und Engagement abverlangt, die man selber zu leisten nicht Willens oder im Stande ist. Das Zauberwort, dass schon vom Klang her aus der Zeit fällt, ist „verpflichtendes Dienstjahr“.

 

Umso bedauerlicher, dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Bundespräsident die Diskussion lostritt. Umso weniger verwunderlich, dass konservative Kreise den Faden aufnehmen und in dieselbe Kerbe schlagen. Die Mär unverantwortlicher, partygeiler Halbstarker scheint vor allem in konservativen Kreisen in den Köpfen fest verankert. Führt man sich so manche Aktion der Jungen Union vor Augen mag dies wenig verwundern, doch wie heißt es immer so schön: man sollte nicht von sich auf andere schließen.

 

Stattdessen sattelt man sich selbst auf das höchste Ross, dass sich finden lässt und attestiert jungen Menschen durch ein verpflichtendes Dienstjahr, Verantwortung übernehmen zu können und so ihren Beitrag zum „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu leisten.

 

Offenbar liegt Verantwortung im Auge des Betrachters…

Hinter uns liegen 2 Jahre Pandemie, in dem vor allem junge Menschen für ältere Mitmenschen verantwortungsbewusst zurücksteckten und bis heute maßgeblichen Anteil an der Eindämmung der Pandemie haben. Sie arbeiten ohne oder für eine geringe Aufwandsentschädigung in Testzentren. Junge Menschen sind ehrenamtlich engagiert: im Sportverein, in der Feuerwehr, im Dorfleben, in der Politik. Vielerorts würde ohne junge Ehrenamtler*innen viele Freizeitangebote nicht aufrechterhalten werden können. Es waren und sind vor allem junge Menschen, die sich seit 2015 unermüdlich für Flüchtende in Deutschland oder auf dem Mittelmeer einsetzen und gerade in Südeuropa damit Gefängnisstrafen riskieren. Aktuell im Ukrainekrieg mit anpacken.

 

Und last but not least: die tausenden Klimaaktivist*innen, die sich bei FFF und anderen Organisationen engagieren und seit Jahren die Generation, die sich hier jetzt zum großen Bevormunder aufschwingt, dazu auffordert doch endlich verantwortungsbewusst mit unseren endlichen Ressourcen umzugehen, um die Erde nicht zu Grunde zu richten.

 

Dieses Engagement scheint aber nicht dem Maß an Verantwortungsbewusstsein zu entsprechen, dass vor allem Konservative anlegen. Entweder weil sie sich nicht in junge Menschen hineinversetzen können oder es einfach nicht wollen.

 

Junge Menschen zeigen mit ihrem Engagement bereits an unzähligen Stellen wie viel Verantwortungsbewusstsein in ihnen steckt. Ein Vorstoß wie das verpflichtende Dienstjahr erweckt den Anschein, dass vor allem Konservative verantwortungsbewusstes Handeln nur dann anerkennen, wenn es die eigenen Fehler der Vergangenheit ausbügelt. Anders kann ich mir diese Forderung als Reaktion auf den Pflegenotstand und andere Struktur- und Fachkräftemängel als Ergebnis fruchtloser Politik nicht erklären.

 

 

Der Wandel muss fraglos her, aber nachhaltig und langfristig. Ganzheitlich mit einer wirklichen Arbeitsentlastung und angemessener Bezahlung für die Arbeitenden. So fördert man gesellschaftlichen Zusammenhalt. Nachhaltig.