· 

Retter Impfung! Ein Faktencheck.

Das Thema Corona-Impfung ist seit Ende letztens Jahres, spätestens seit dem Impf-Start in Deutschland, in aller Munde. Dabei gehen trotz wissenschaftlicher Studien und wissenschaftlich belegter Fakten, die Meinungen stark auseinander. Doch was ist eigentlich dran an den Argumenten der Impfkritiker:innen?

Wir haben uns einen solchen Flyer mit dem Titel “Retter Impfung?” mal genauer angesehen und einzelne Aussagen auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft. Insbesondere die Frage nach den Quellen und ihrer Wissenschaftlichkeit hat uns dabei besonders interessiert.

Aussage 1: “Es werden Ihnen Virusgene gespritzt.”

Die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna arbeiten mit mRNA. Das steht für Boten-Ribonukleinsäure und ist von der DNA, der Desoxyribonukleinsäure strikt zu unterscheiden. Während die DNA die Erbinformation, den genetischen Code, enthält, ist die RNA eine kurze einzelsträngige Kopie der DNA. Die mRNA im Speziellen hat den Zweck, diese Informationen weiterzugeben, damit sie im Körper umgesetzt werden können. 

Die mRNA im Impfstoff regt im Körper die Produktion eines Corona-charakteristischen Proteins an, gegen das der Körper dann Antikörper produziert. (Was ist RNA und wie funktionieren mRNA-Impfstoffe? | BR24)

Die Aussage ist also extrem verkürzt.

 

Aussage 2: “Aus dem Muskel gelangen diese (Virusgene) mit dem Blutstrom in Ihren gesamten Körper, auch dahin, wo die Viren selbst nie schaden anrichten würden.”

Auch diese Aussage kann man so nicht stehenlassen. Zum einen ist noch nicht bekannt, wo genau das Corona-Virus überall Schäden verursacht, zum anderen hat der:die Verfasser:in des Flyers keinerlei Beleg für diese Aussage angebracht. Eine Recherche ergibt, dass es über ein solches Phänomen noch nicht einmal Berichte gibt. Bis nicht eine wissenschaftliche Studie dazu vorliegt, ist diese Aussage nichts weiteres als eine unbelegte Behauptung. 

 

Aussage 3: “Bei gesunden Freiwilligen zeigte sich, dass die Impfung teils heftige Nebenwirkungen auslöste.”

Das ist ohne Beleg ebenfalls eine reine Behauptung. Bei einer kurzen Recherche zeigt sich sehr schnell, dass zwar häufig Nebenwirkungen auftreten, diese aber die typischen Nebenwirkungen einer Impfung sind: Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Durchfall, Muskelschmerzen, Gliederschmerzen und Fieber. Diese klingen auch nach kurzer Zeit wieder ab. (Biontech/Pfizer: Was über Impf-Nebenwirkungen bekannt ist - ZDFheute)

 

Bei wenigen kam es auch zu einer allergischen Reaktion. 

In den USA wird durch die dortige Notzulassung schon länger geimpft als in Deutschland. Die Gesundheitsbehörde CDC hat nun nach über 40 Mio. verabreichten Impfdosen eine erste Bilanz gezogen. Insgesamt wurden nur ca. 7.000 Fälle von Nebenwirkungen gemeldet, davon seien 91 % mild gewesen. Es habe nur 4,5 Fälle von schweren allergischen Reaktionen pro 1 Mio. Impfungen gegeben, die alle behandelt werden konnten. Auch die 113 Todesfälle nach der Impfung stehen in keinem kausalen Zusammenhang mit der Verabreichung des Impfstoffs. Bilanz aus den USA: Kaum gefährliche Nebenwirkungen nach Millionen Corona-Impfungen - Wissen - Stuttgarter Zeitung (stuttgarter-zeitung.de)

 

In dem Flyer wird aber auch die Frage nach Langzeit-Risiken aufgeworfen. Als Beispiel für Lagzeitfolgen einer Impfung, die nach einer kurzen Entwicklungsphase auf den Markt gebracht wurde, nennt der:die Verfasser:in das Auftreten von Narkolepsie nach der Schweinegrippeimpfung. Wie auch schon zuvor, ist diese Aussage verkürzt und aus dem Kontext gezogen. Es ist richtig, dass vereinzelt Narkolepsie als Nebenwirkung der Impfung auftrat. Was allerdings außer Acht gelassen wurde, ist die Tatsache, dass das Risiko bei 1:16.000 (AS03 Adjuvanted AH1N1 Vaccine Associated with an Abrupt Increase in the Incidence of Childhood Narcolepsy in Finland (plos.org)) liegt und eine längere Testphase diese Nebenwirkung wahrscheinlich nicht zum Vorschein gebracht hätte, da die Testgruppe lediglich 2000 Menschen umfasste (Monovalent inactivated split-virion AS03-adjuvanted pandemic influenza A (H1N1) vaccine - PubMed (nih.gov)). 

 

Die Corona-Impfung wurde daher an über 40.000 Menschen getestet. Wer noch mehr über das Thema Langzeitfolgen der Corona-Impfung lesen möchte, sollte sich diesen sehr gut recherchierten und belegten Artikel von Volksverpetzer ansehen: Molekularbiologe zerlegt Mythen über die Langzeitfolgen (der Corona-Impfung) - Volksverpetzer

 

Darüber hinaus wurde auch betont, dass durch die Notfallzulassungen Nebenwirkungen erst beurteilt werden können, wenn Millionen oder Milliarden Menschen geimpft worden seien. Als Beleg wurde folgendes Interview mit dem Virologen Stephan Becker angeführt: Virologe: Notfallzulassung normaler Weg für Corona-Impfstoff - ZDFheute. Die Aussage ist zwar grundsätzlich richtig aber auch wieder vollkommen aus dem Kontext gerissen.

Zum einen muss betont werden, dass er über die Notzulassung in den USA gesprochen hat, denn zu dem Zeitpunkt des Interviews (20.11.2020) war noch kein Impfstoff in der EU zugelassen. Die Zulassung in der EU war keine beschleunigte Zulassung und auch die Testphasen wurden nicht verkürzt. Die Entwicklung des Impfstoffes hat weniger Zeit in Anspruch genommen, da die Testphasen in voller Länge parallel stattgefunden haben, sodass früher alle benötigten Daten zur Zulassung vorlagen und das Zulassungsverfahren früher begonnen werden konnte. Auch haben die Hersteller auf eigenes Risiko mit erhöhtem Personalaufwand gearbeitet und die Produktion angestoßen noch bevor die Zulassung erteilt wurde. Es handelt sich also Hierzulande nicht um eine Notfallzulassung und die Sicherheit des Impfstoffes ist nicht aufgrund der kürzeren Zeit bis zur Zulassung beeinträchtigt. (Corona-Impfung: Die wichtigsten Fragen und Antworten (bundesregierung.de))

 

Zum anderen hat der Virologe Stephan Becker betont, dass die genaue Beobachtung der Nebenwirkungen und damit die Vervollständigung der Daten nach Verabreichung von Millionen Impfdosen Sinn und Zweck der Notzulassung ist. Er hat diese in keinster Weise kritisiert oder ein erhöhtes Risiko bzw. eine geringere Sicherheit des Impfstoffes unterstellt. Die nun erfolgte Auswertung der CDC in den USA (s.o.) widerlegt die Befürchtungen des:der Verfassers:in. 

 

Eine weitere aus dem Kontext gerissene und mit falscher Kausalität belegte Quelle ist eine Grafik der WHO zu den weltweite Grippezahlen von 2019 und 2020 im Vergleich. Dabei wurde von dem:der Verfasser:in herausgestellt, dass die Grippe weltweit ausgestorben sei, obwohl die Grippeimpfung nicht besonders effektiv sei.

 

Zuallererst muss festgestellt werden, dass die angegebe Quelle nur belegt, dass es zwischen der 19. und 37. KW 2020 keine gemeldeten Grippefälle gab (WHO FLUMART OUTPUTS). Allerdings heißt das nicht, dass es keine gab, nur, dass keine an die WHO gemeldet wurden. Darüber hinaus kann man nicht davon sprechen, dass die Grippe ausgestorben sei, denn anhand der Grafik ist erkennbar, dass ab KW 38 wieder geringe Fallzahlen gemeldet wurden - die im Flyer abgedruckte Grafik ist allerdings so klein, dass dieser, wenngleich minimale, Anstieg nicht zu erkennen ist. Auch die Aussage so zu Formulieren, dass die Grippe laut WHO ausgestorben sei, ist falsch. Die WHO hat keine offizielle Erklärung mit einem solchen Inhalt herausgebracht. Durch die Angabe der Quelle bezogen auf die gesamte Aussage wurde dies aber suggeriert. Es handelt sich dabei eigentlich lediglich um die Interpretation des:der Verfassers:in. 

 

Dies auch noch in eine Kausalität mit der Effektivität der Grippeimpfstoffe zu setzten ist genauso falsch. Denn eine kurze Recherche zeigt, dass die Effektivität des Grippeimpfstoffs in der Saison 2019/20 hoch war und deutlich über der der Vorjahre lag (Saison 201920: Hoher Schutzeffekt der Grippeimpfung | PZ – Pharmazeutische Zeitung (pharmazeutische-zeitung.de)). 

 

Zu guter Letzt wird auch noch die Gefährlichkeit des Corona-Virus in Abrede gestellt, da es 2020 in Deutschland nicht ungewöhnlich viele Sterbefälle gegeben habe und die Intensivstationen nicht überlastet gewesen seien. Letzteres belegt mit dem DIVI Intensivregister. Problemtisch an der Quellenangabe ist jedoch, dass man dort nur den aktuellen Stand der Verfügbarkeit von Intensivbetten ablesen kann und nach etlichen falschen, nicht belegten und aus dem Kontext gerissenen Aussagen erscheint diese wenig glaubwürdig. Wer die Medien verfolgt hat, wird mitbekommen haben, dass einige Intensivstationen voll belegt waren. Auch ein aktueller Blick in das Intensivregister zeigt, dass einige Intensivstationen in Kreisen mit derzeit hohen Inzidenzwerten voll belegt sind. So sind z.B. in einem Umkreis von 100km um Tirschenreuth in 15 von 56 Krankenhäusern keine Low Care und High Care Intensivbetten mehr verfügbar (DIVI Intensivregister, Stand 20.02.2021, 10:35 Uhr). 

Darüber hinaus ist es gut, wenn die Intensivstationen und das Gesundheitssystem nicht überlastet sind. Wenn das erreicht wird, heißt es, dass die Maßnahmen funktionieren und sinnvoll sind. Dennoch belegt eine Zeitweise volle Belegung, dass die Maßnahmen notwendig sind. 

 

Auch, dass es 2020 in Deutschland nicht ungewöhnlich viele Sterbefälle gegeben habe, ist schlichtweg falsch. Im Dezember 2020 sind 29% bzw. 24.038 mehr Menschen gestorben als im Durchschnitt in den Jahren 2016-2019, im Vergleich dazu, gab es im Dezember ca. 20.000 Corona-Tote (Sterbefallzahlen im Dezember 2020: 29 % über dem Durchschnitt der Vorjahre - Statistisches Bundesamt (destatis.de)). Damit ist eine deutliche Übersterblichkeit durch das Corona-Virus belegt. 

 

Am Ende sind die Inhalte solcher Flyer trotz ihrer professionellen Aufmachung oft falsch, nicht belegt und aus dem Kontext gerissen und keinesfalls eine verlässliche Quelle. Aufgrund der Verbreitung von Fake-News stellen diese eine besonders große Gefahr für alle dar, die sich nicht die Zeit nehmen (können), stundenlang zu recherchieren, ob die Aussagen glaubhaft sind. 

Deshalb ist nicht zuletzt diese (pseudo-)professionelle Aufmachung das Problem dieser Art von Fake News und der Grund, weshalb sie so gefährlich sind. 

 

 

 

Autoren: Gerrit Steffens, Alexandra Steffens